FALTER

Nr. 17/05
Hufeisennasen flattern
Mit der Doppel-CD „born to be off-road“ legen die Klarinettisten Petra Stump und Heinz-Peter Linshalm ein radikales Meisterstück vor.

Rund 300 Solostücke sind in den letzten fünfzig Jahren für die Bassklarinette entstanden. Ein beachtlicher Katalog für ein Instrument, das zuvor nur selten, und wenn, dann allenfalls marginal eingesetzt wurde. Ganz unverständlich ist die neu entdeckte Liebe der Tonsetzerschaft aber nicht. Die von der Avantgarde so leidenschaftlich gesuchten „ungehörten Klangwelten“ sind mithilfe der erstaunlichen klanglichen Flexibilität und des großen Tonumfangs der Bassklarinette und ihrer Schwesterinstrumente unschwer zu finden.
Teil der aktuellen Hausse ist auch ein signifikanter Anstieg an neuen Klarinettenduos. Ein solcher Trend ist in der Musikgeschichte an sich nichts Ungewöhnliches. Das Klaviertrio beispielsweise tauchte um 1800 wie aus dem Nichts auf – und verschwand mit dem Ende der Romantik auch wieder. Ein zentraler Unterschied besteht aber doch: Während ein Großteil der historischen Kammermusik seine Verbreitung nicht zuletzt durch musikalische Laien fand, ist das durch die rasante Erweiterung der Spieltechniken heute kaum noch möglich. Wer Neue Musik schreibt, tut das in aller Regel für hoch spezialisierte Profiinterpreten. Und die haben dementsprechend großen Anteil an der Entwicklung neuer Tendenzen und Stilrichtungen.
Im Fall der aktuellen Klarinettenkonjunktur darf Wien als Hochburg gelten, und das vor allem dank zweier junger Interpreten. Petra Stump und Heinz-Peter Linshalm, beide grade mal dreißig Jahre alt, konnten sich, nach einer frühen Spezialisierung auf zeitgenössische Musik, in den letzten Jahren durch zahlreiche eigene Projekte und Arbeiten mit so renommierten Ensembles wie dem Klangforum Wien etablieren. Sogar eine eigene Schule haben die beiden im Wiener Doblinger Verlag schon herausgegeben: „clarinet update – Neue Musik für junge Klarinettisten“.
Vor zwei Jahren dann begann, eher zufällig, die Sache mit dem ungewöhnlichen Duo. Der befreundete Komponist Bernhard Gander wollte die virtuosen Fähigkeiten von Stump und Linshalm nutzen und schrieb für die beiden ein Stück. „Mr. Vertigo“ ist es nach dem Roman von Paul Auster benannt, in dem die Möglichkeit, dass ein Mensch ohne technische Hilfe fliegen kann, überaus einleuchtend und realistisch beschrieben wird. Musikalisch lässt Gander zwei der Klarinette verwandte Bassetthörner flattern, während die begleitende Elektronik von einer Zuspiel-CD tatsächlich abzuheben scheint.
Ganders Stück machte Schule. Bis heute haben unter anderen Beat Furrer und Bertl Mütter, Judit Varga, Gerald Futscher, Christoph Herndler und Jorge Sánchez-Chiong Arbeiten bei Stump und Linshalm abgeliefert. Einige davon sind durch elektronische Klänge ergänzt, andere ganz klassisch dem reinen Klang des Instruments verpflichtet. Geflattert wird in einigen von ihnen, in Futschers „Hufeisennasen“ sogar ganz wörtlich: Der Vorarlberger Komponist nahm die faszinierenden Rufe und Geräusche der gleichnamigen Fledermausart auf Band auf und glich sie den sonoren Qualitäten des Klarinettenduos an.
Die sieben wichtigsten der eigens für sie geschriebenen Stücke haben Stump und Linshalm nun auf ihrer ersten (Doppel-)CD „born to be off-road“ vereint und legen damit – der Titel deutet es schon an – auch einen anspruchsvollen Einblick in die strenge Ecke der österreichischen Avantgarde vor. Die stilistische Bandbreite ist also ziemlich überschaubar, trotz der ganz unterschiedlichen technischen Herausforderungen, die das Duo allesamt bravourös meistert. Unsympathisch ist diese Selbstbeschränkung dennoch nicht – verdankt sie sich doch der Entstehung des Albums im Freundeskreis. (Carsten Fastner)